Vor einiger Zeit reizte mich der Gedanke, einen Text zu meinen eigenen Bildern zu schreiben. Eine Erklärung? Eine Annäherung? Zumindest eine Rechtfertigung, bestenfalls eine Sinngebung. Schon nach wenigen Versuchen habe ich meine Bemühungen eingestellt. Entweder erschienen mir die Sätze zu platt (was mir liegt), oder zu prätentiös, feuilletonistisch (was ich gern vermeiden wollte).
Aufgeben wollte ich das Projekt, einige eigene Worte für die Bilder zu finden, jedoch nicht. Als Retter kam mir mein Bruder in den Sinn. Er ist Professor für amerikanische Literatur und Kultur. Diese Sujets hat er immer weit gedeutet. Ich wusste meinen Wunsch bei ihm gut aufgehoben. Immerhin drei Bilder von mir hängen bei ihm zu Hause; manche kennt er von Besuchen; die anderen hat er auf meiner homepage angeguckt. Ich habe ihn mit meiner Bitte um Unterstützung ganz und gar allein gelassen. Ich glaube, dann ist er am besten. So hat er jedenfalls oftmals Erwartungen anderer, nie seine eigenen, übertroffen. Unten folgt sein Text, dem ich nichts hinzufügen kann oder auch nur möchte. So ist es. Vielen Dank an Dich, lieber Hanjo.
“Entweder: “we extract the abstract and general idea of color, and we do so by ‘effacing from red what makes it red, from blue what makes it blue, and from green what makes it green’: then we are left with a concept which is a genre, and many objects for one concept. The concept and the object are two things, and the relation of the object to the concept is one of subsumption.
Oder: “the different colors are no longer objects subsumed under a concept, but nuances or degrees of the concept itself. Degrees of difference itself, and not differences of degree”. The relation is no longer one of subsumption, but one of participation. White light is still a universal, but a concrete universal, which gives us an understanding of the particular because it is the far end of the particular.
- - - Gilles Deleuze, Desert Islands
Ohne Titel:
Pigment (lateinisch pigmentum für „Farbe,“ „Schminke“). Pigmente sind Farbmittel, d.h. farbgebende Substanzen. Im Gegensatz zu löslichen Farbstoffen sind sie im Lösungs- oder Bindemittel unlösliche, feinstverteilte Farbstoffe. Pigmente entstehen typischerweise in Form der Primärteilchen, die über ihre Flächen zu Aggregaten zusammenwachsen.
Mir scheint dieser Hinweis in Bezug auf die vorliegenden Bilder wichtig, denn sie sind, mehr als alles andere, Pigmentlandschaften. Landschaftsmalerei auf der Ebene des Materials. Begriffe wie Atmosphären und Ipseität, mit denen man oft diffuse Umgebungen bzw. die Eigenheit abgegrenzter Dinge bezeichnet, werden in diesen Bildern auf das Material angewandt. So etwa eine grünlich-gräuliche Umgebung, innerhalb derer eine grüne Fläche, also ein substantivisches Grün, sichtbar ist. Aber es ist kein Grün im Allgemeinen, genauso wenig wie man das Gemälde einer niederländischen Landschaft nicht gut beschreibt, wenn man sagt, es zeige eine Kuh, einen Weg und im Hintergrund ein Dorf, und das alles unter einem wolkenverhangenen Himmel. Denn man sollte sagen: die Kuh, der Weg und das Dorf. Der Himmel. Und dann müsste man ihre spezifischen Eigenheiten, ihre Eigenwerte beschreiben. Nicht als Objekte, sondern als gemalte Objekte. Denn es gibt viele Kühe, aber wenige Rembrand‘sche Kühe, viele Wege, aber wenig van Gogh’sche Wege. Genauso gibt es viele Blaus, aber eigentlich gibt es nur spezifische Blaus. So wie das Licht eine konkrete Universalie ist (weißes, universelles Licht wird in seiner Reflektion bzw. Absorbtion an konkreten Oberflächen in das Spektrum der Farben gebrochen. Alles, was nicht absorbiert wird, ist die Farbe des Objekts. Das Pigment Grün absorbiert alle Wellen außer den als ‚grün‘ wahrgenommenen), ist auch das Blau immer universell und konkret zugleich. Blau alleine sagt nichts. Ein Königsblau, ein Pelikanblau oder ein Kleinblau schon mehr. Aber das ist immer noch zu ungenau. Denn das Blau ist in jeder Situation unterschiedlich. Es unter dem Genre ‚Blau‘ zu subsumieren nimmt ihm seine Eigenart.
Die Farbe ist somit das Inkarnat des Lichts. Sein Körper. Seine Aktualisierung durch die Oberflächen der Welt. Licht und Farbe zusammen machen die optische Welt aus, wobei ein Zusammenspiel von Licht und Auge besteht. Licht ist zunächst elektromagnetische Strahlung. Erst im Auge entsteht das, was wir als ‚Farbe‘ wahrnehmen.
Daher sind die vorliegenden Bilder nicht gut im neutralen, sich nicht verändernden Licht eines Museums aufgehoben. Denn das Licht ist das Milieu der Farbe. Das lokale Licht bestimmt die Farbnuancen. Denn das Blau ist, wie gesagt, immer lokal. Unterschiedlich je nach Helligkeit und Tageszeit. Immer ein anderes, spezifisches Blau. Wie die Landschaft. Wie das Feuer, in das man schaut. Wie die Welt, die man sieht. In dem Sinne sind die vorliegenden Bilder Schulen des Sehens. Essays über das Licht und die Farbe.
In dieser Schulung liegt die Bedeutung und Wirkung der vorliegenden Bilder. Denn wenn alles im Auge anfängt, dann liegt die Wirkung unterhalb der Emotion. Auf der Ebene des Affekts, als Wirkung von Körpern auf Körper, der Wirkung von Photonen auf das Auge. Die Wirkung ist anfänglich unterschwellig, unbewusst. Eine körperliche Reaktion. Erst dann wird sie vielleicht zur Stimmung, zur Emotion, und ganz zum Schluss, wenn überhaupt, zur Reflektion. Von kalten und warmen Farben etwa zu traurigen Farben zu einer Idee der Traurigkeit. Aber wie weit dieser Bogen geht, und ob, außer der körperlichen, optischen Reaktion überhaupt, ist in jeder Begegnung und jeder Situation unterschiedlich: Sehe ich das Bild alleine oder mit anderen, ist es ein Betrachten oder lediglich ein Sehen?
Die vorliegenden Bilder wirken auf der Ebene der Farben und ihrer Zusammenstellungen. Denn neben einem Kleinblau sieht ein Grün anders aus als neben einem Ultraweiß. Sie sind abstrakte Kunst lediglich in dem Sinne, dass sie nicht im repräsentativen Sinn figürlich sind. Aber auch ein Grün ist figürlich, wenn es von der graugrünen Umgebung abgegrenzt ist. Figürlich demnach auf der Ebene des Materials.
Und so ist ein milchigweißer, leicht gebeugter Strich vor braunschwarzdunklem Hintergrund figürlich, auf der Ebene des Pigments.
Man könnte sagen, diese Bilder sind ‚so dahingeschmiert‘, aber auf höchster theoretischer Ebene, mit der höchsten Konzentration und Präzision und dennoch aus dem Körper und dem Material heraus. Daraus ergibt sich eine in sich hingeschmierte Präzision. Aber diese Bilder sind kein action painting und kein abstract expressionism, bei denen das Hauptmerkmal auf dem malenden Körper liegt. Im Vordergrund steht hier der anonyme Körper des Pigments. Die Farben, nicht die Bewegung des malenden Körpers. Es ist eher eine Übersetzung der Welt in Farbe. Und auf der Seite des Betrachters die Erfahrung eines bestimmten Ausschnitts der optischen Welt. Denn nichts steht zwischen dem Werk, d.h. dem Pigment, und seiner Wahrnehmung.
Diese Wahrnehmung ist abgelöst von konzeptuellen Rastern. Es gibt keine Sinnfindung, keinen Sinn, dem das Pigment untergeordnet wäre. Der Sinn ist das Pigment selbst. Die Stimmung der Bilder ist von nichts abhängig, was vom Pigment ablenken würde. Die Stimmung ist einmal eher grünlich, ein anderes Mal eher bläulich. Aber immer präzise und raum- und zeitspezifisch. Die Emotion ergibt sich aus dem Affekt, als direkt materielle Wirkung. Die Bilder sind und bleiben im Auge. Sie erzeugen, so könnte man sagen, rein optische Stimmungen.
Von dieser Warte aus stellen die Bilder Fragen nach einem neuen Vokabular der Farben und des Lichts. Einer optischen Physiologie. Zum Beispiel Fragen zur Temperatur einer Farbe, wobei deren Kälte, oder auch Wärme, nichts Symbolisches an sich hat. Eher etwas Physiologisches. Aber auch das ist noch nicht ihre wahre Wirkung, denn im Endeffekt sind die Farben lediglich der optische Ausdruck des Pigments. Das wahre Instrument der ästhetischen Erfahrung ist das Auge, oder, wenn man solche Bilder beschreibt, der Stift. Bei den amerikanischen Autoren William Faulkner und John Dos Passos gibt es wunderschöne Beschreibungen spezifischer Farben und farbiger Atmosphären: “shadowdappled”, “moonblanched”, “darkcaverneyed”, „daygranaried“, „inwardlighted“. Es gibt ein „final copper light“, das „almost audible“ erscheint, eine „jonquilcoloured sun“ und ein „augusttremulous light“.
Die vorliegenden Bilder sind Teil einer rein retinalen Kunst. Wenn manchmal aus dem „Verschmieren“ eine Figur entsteht, so ist das zumeist nicht das primäre Ziel der Malerei, sondern eher ein Zufallsprodukt, das die Reinheit der Farbkomposition, die Hacceität der Farblandschaft, beinahe stört. Aber es gibt auch Landschaften mit Figuren, und im Cortex wird eine Farbumgebung zu einer realen Landschaft und eine Gelbfigur zu einer Frauengestalt. Und manchmal ist die Farblandschaft durch Figurstriche und einen narrativen Rahmen determiniert. So wie im Passionszyklus, in dem sich Figürlichkeit, Zeichenhaftigkeit und Farbigkeit überlagern. Verrat und Schmerz entsteht im Chiasmus der Farbform und der Formfarbe. Das anonyme ‚Es‘ des Grau, ‚das‘ Grau, wird zum Konzept. Wie dies geschieht, das beschreibt der Vorgang des Betrachtens.
Der Titel der meisten der vorliegenden Bilder ist ‚ohne Titel‘. Das ist konsequent, scheint jedoch zunächst rein negativ. Dem könnte man entgegnen, dass jeder Versuch eines positiven Titels an der Übertragung leidet. „Grauer Hintergrund mit dunklen Flächen“. Das wäre genauer, aber eben auch nicht, denn es bleibt allgemein und ist daher grundsätzlich falsch. Die Stärke von Faulkners „darkcaverneyed“ liegt im Fehlen des realen Bildes, das erst beim Lesen in der Imagination entsteht. Das ist die Stärke der Literatur. In der Präsenz des realen Bildes muss die literarische Beschreibung scheitern: Ohne Titel.
Und vielleicht auch: Ohne Text.
Zurück zum Sehen, daher.“